Gleicher Lohn für alle
Predigt am 23.09.2023 (A725) in Maria Rain
Wenn ein Kind den Eindruck hat, dass Mutter oder Vater es ungerecht behandeln, kann das sehr weh tun. Manche Menschen haben einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und spüren sofort, wenn jemand ungerecht behandelt wird. Wären alle unsere Gesetze und gesellschaftlichen Regelungen gerecht, hätten wir viele Probleme nicht. Die große soziale Ungerechtigkeit auf unserer globalisierten Erde ist die größte Gefahr für den Weltfrieden. Ob im persönlichen Leben oder im gesellschaftlichen: Gerechtigkeit ist was ganz Wichtiges. Das wissen wir alle.
1. Jesus lobt anscheinend den ungerechten Gutsbesitzer
Im heutigen Evangelium (Mt 20,1-16) erzählt uns Jesus ein Gleichnis vom Himmelreich. Da scheint es sehr ungerecht zuzugehen. Wenn heutzutage ein Arbeitgeber für dieselbe Tätigkeit denselben Lohn zahlen würden sowohl dem, der den ganzen Tag gearbeitet hat, als auch dem, der nur eine Stunde tätig war, dann hätte er vor dem Arbeitsgericht keine Chance. So etwas Ungerechtes – das geht gar nicht. Der Gutsbesitzer im Gleichnis trifft eine Vereinbarung über die Höhe des Lohns nur mit denen, die bereits am Morgen das Arbeiten beginnen. Denen, die später anfangen, sagt er einfach: „Ich werde euch geben, was recht ist.“ Das ist in unseren Augen eine eigenartige Vorgehensweise. Wer beginnt schon eine Tätigkeit in der Hoffnung, dass er am Ende bekommt, „was recht ist.“ Was ist denn recht? Ist das etwa gerecht, was dann passiert: Dass nämlich alle denselben Lohn bekommen – obwohl ihre Arbeitszeit sehr unterschiedlich ist? Klammer auf: In unserer Kirche werden wir Priester nach Dienstjahren besoldet, nicht nach Arbeitsleistung. Da arbeiten also manche nur einen Bruchteil von dem, was andere leisten – bei demselben Lohn… Klammer zu.
2. Jesus lobt nicht die Ungerechtigkeit, sondern die Güte
Aber fragen wir weiter: Um was geht es Jesus eigentlich? Etwa darum, dass im Himmelreich unser Gerechtigkeitsempfinden außer Kraft gesetzt wird und dass der liebe Gott den Fleißigen genauso wie den Faulen den gleichen Lohn zahlt? Am vergangenen Sonntag hatten wir bereits gehört in dem Gleichnis, das bei Matthäus direkt vorausgeht, von einem König, der seinem Knecht eine riesengroße Schuld erlässt, während dieser Knecht nicht bereit war, einem Mitknecht eine kleine Schuld zu erlassen. Wir haben dabei betrachtet die Botschaft Jesu von der unvorstellbar großen Güte Gottes. Und um diese Güte Gottes geht es auch im heutigen Gleichnis. Der Gutsbesitzer gibt am Ende des Arbeitstages jedem 1 Denar – unabhängig davon, wie viele Stunden er gearbeitet hat: Und zwar nicht, weil er ungerecht ist, sondern weil er gütig ist und weil er gütig sein will zu allen. Dass die Arbeiter nicht herumstehen müssen und dass sie die Möglichkeit bekommen, mit ihren Händen für sich und ihre Familien das tägliche Brot zu verdienen, ist Ausdruck der Güte des Weinbergbesitzers. Und in seiner Güte bekommt jeder, was er zum Leben braucht... Es geht im heutigen Gleichnis nicht um die Frage der Gerechtigkeit, es geht vielmehr um den Hinweis auf die Güte Gottes. Und wenn dann im Himmel jemand ein ebenso schönes Plätzchen bekommt wie ich, obwohl er auf Erden weniger gerackert oder vielleicht auch mehr gesündigt hat als ich…? Gottes Gerechtigkeit misst nicht mit unserem Maß. Gottes Gerechtigkeit ist Güte, seine übervernünftige, unverhältnismäßige, maßlose Güte. Himmelsfähig sind wir dann, wenn wir das annehmen und zulassen – ja, wenn wir uns darüber freuen können…
3. Den „ungerechten Lohn“ der Migranten und Flüchtlinge
Wir alle haben das Glück, in einem Sozialstaat zu leben. Wir haben die Möglichkeit, im Bedarfsfall vielfältige Unterstützungen und Hilfen zu erhalten, damit ein Mindestmaß an Lebensqualität gewährleistet ist. Nicht wenige regen sich darüber auf, dass diese Sozialleistungen nicht nur jenen Bürgern zustehen, die hier ein Leben lang gearbeitet haben, sondern eben auch denen, die auf der Suche nach einem menschenwürdigen Lebensort zu uns in unser Land kommen. Ja, Migranten und Flüchtlinge genießen in Deutschland Sozialleistungen, für die sie hier bei uns nicht gearbeitet haben. Ist das nicht genau dieselbe Situation wie im heutigen Evangelium? Der heutige Sonntag ist der Weltgebetstag für Migranten und Flüchtlinge. Bereits im Jahr 1914 hatte der Papst diesen jährlichen Weltgebetstag für Migranten und Flüchtlinge eingeführt. Die Flüchtlingshilfe der UNO gibt an, dass im Jahr 2022 108,4 Mio Menschen auf der Flucht gelebt haben, 20% mehr als im Vorjahr. Die Tendenz ist steigend. In Deutschland wächst mit der AfD eine Partei, zu der sich inzwischen mehr als jeder 5. Deutsche hingezogen fühlt. Die AfD wirbt nicht zuletzt damit, dass sie den Zustrom von Migranten stoppen möchte. Natürlich ist das ein komplexes Problem, dem ich mit einem Pinselstrich in dieser Predigt nicht gerecht werden kann. Aber dies eine sollte uns allen klar sein: Diese ablehnende Haltung gegenüber Migranten und Flüchtlingen ist zutiefst unchristlich. Wer dem Anspruch des Evangeliums gerecht werden will, muss an der Güte Gottes Maß nehmen. Und einen Gott, der sagt: „Ihr Deutschen, Ihr habt Glück gehabt, Ihr dürft in einem Sozialstaat leben; alle anderen bestraft das Leben, die sollen bitte draußen bleiben“ – einen solchen Gott gibt es nicht. Wer den christlich kaschieren will, missbraucht Gott – so wie auch Hitler die göttliche Vorsehung immer wieder für seine extremistischen und menschenverachtenden Ziele missbraucht hat. 2022 lebten 2,1 Mio Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland, das sind ungefähr 2,5% unserer Bevölkerung. Wenn das ein Sozialstaat wie der unsere nicht verkraften kann, welcher Staat dann? Manche jammern da auf hohem Niveau... Wir brauchen keine Angst haben, dass uns jemand die Butter vom Brot nimmt. Vor allem dann nicht, wenn wir glauben dürfen an einen Gott, der sich nicht in unser Leistungsdenken und nicht in unsere engen Vorstellungen von Gerechtigkeit einzwängen lässt, sondern der einfach maßlos gütig ist – zu allen. Gott sei Dank! An diesem Gott dürfen und müssen wir Maß nehmen. Amen.
77 mal
Predigt am 16./17.09.2023 (A/24) in Kempten St. Lorenz und in Oy
Die Vorstellung, ich säße im Himmel neben Trump, Putin oder Erdogan, fällt mir irgendwie schwer – ganz zu schweigen von Hitler. Die heutige Frohe Botschaft (Mt 18,21-35) drängt allerdings die Frage auf, warum eine solche Vorstellung für mich schwierig ist. Kann Gott in seiner unendlichen Güte nicht jeder oder jedem einen Platz gewähren im Himmelreich?
Güte, Vergebung und Erbarmen gehören zu unser aller Leben. Viele Ärzte und Therapeuten behaupten, dass Unversöhnlichkeiten uns Menschen auch physisch krank machen können. Es ist also nicht nur für unsere Seele und für unsere Psychohygiene, sondern auch für unseren Leib ratsam, ein versöhnungsbereiter Mensch zu sein und – wenn nötig – die Kraftakt der Versöhnungsarbeit zu leisten…
Im heutigen Evangelium sagt Jesus nicht nur: Hab doch ab und zu etwas Erbarmen mit Deinem Nächsten, denn schließlich hat auch Gott mit Deinen kleine Fehlerchen Erbarmen... Das Unerhörte dieser Botschaft Jesu ist das Ausmaß des Erbarmens, das Gott schenkt. Und es geht um die Frage, ob unsere Einschätzung auch der Realität entspricht: Wie groß ist das Erbarmen, das Gott mir schenkt, und wie groß ist das Erbarmen, das ich anderen schenken soll? Hören wir noch mal hin…
Zu Beginn der Perikope wird Jesus von Petrus gefragt: Wie oft muss ich vergeben? Mir erzählte eine Frau, dass sie in 19 Ehejahren ihrem Ehemann drei Seitensprünge vergeben hat. Aber jetzt hat sie einen vierten heraus bekommen. Jetzt reicht´s. Ihr Mann zeigt auch dieses Mal Reue und gelobt Besserung, sagt sie. Aber sie kann jetzt nicht mehr… Nun, ich kann nur ahnen, wie schwierig das ist und ich habe für diese Frau zunächst volles Verständnis.
Wenn diese Frau an Jesus die Frage des Petrus richten würde, würde Jesus ihr dann sagen: Siebenundsiebzigmal musst Du vergeben? Den Adressanten des Evangeliums war bewusst, dass 77 eine symbolische Zahl ist, die Zahl der Unendlichkeit. Das bedeutet also: Immer soll ich vergeben, immer wieder neu…
Wie soll das gehen? Schließlich geht es bei der Frage nach der Vergebung offensichtlich für Jesus um eine existentielle Frage: Wenn ich meinem Nächsten nicht von Herzen vergebe, dann kann der Herr auch uns sein Erbarmen nicht schenken. Dürfen wir das wirklich so verstehen, dass an unserem Mangel an Vergebung unser – Klammer auf - ewiges - Klammer zu – Heil scheitern kann?
Warum lehrt uns Jesus im Vaterunser sieben Bitten, von denen sechs gleichsam gratis gebetet werden dürfen, eine Bitte aber an eine Art Bedingung geknüpft ist: Ausgerechnet die Bitte um Vergebung. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Und weiter sagt Jesus schlicht: „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ (Mt 6,15)
Vor ein paar Jahren begleitete ich einem Mann Jahrgang 1921 im Sterben. Als junger Mann hatte er im Krieg schreckliche Dinge erlebt. Ein Leben lang hat er unter diesen traumatisierenden Eindrücken gelitten. Ein paar Stunden vor seinem Tod fragte er mich: Herr Pfarrer, wie soll ich das machen: Hitler vergeben? Diese Frage hat mich am Ende eines so langen Lebens, das vom christlichen Glauben wirklich tief geprägt war, doch sehr berührt. Angesichts des nahenden Todes hatte ihn diese Frage 70 Jahre später immer noch umgetrieben: Wie kann ich Hitler vergeben? Abgesehen davon, dass es sich hier um eine extreme Situation handelt: Sollten wir uns mit dieser Frage, ob wir unsere „Hausaufgaben“ in Sachen Vergebung schon alle erledigt haben, nicht viel besser heute beschäftigen? Oder sollen wir abwarten und damit riskieren, dass unsere unerledigte Versöhnungsarbeit dann angesichts des nahenden Todes noch mal eine bedrückende Relevanz bekommen kann? Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass es auch diese Erfahrung geben kann, dass es mir trotz allen guten Willens und trotz aller Bemühungen einfach nicht gelingt, einem Menschen zu vergeben…
Doch schauen wir noch mal hin: Wie begründet Jesus seine so anspruchsvolle Forderung, immer zu vergeben? Er sagt: Gott ist wie ein König, der seinem Diener eine großen Schuldenberg erlässt, weil er Mitleid mit ihm hat. Jesus spricht hier von zehntausend Talenten. Das ist unvorstellbar viel. 1 Talent entspricht 6000 Denaren, und 1 Denar entspricht einem Tageslohn. Dieser selbe Diener ist dann nicht bereit, einem Mitknecht seine vergleichsweise kleine Schuld zu erlassen, Jesus nennt hier 100 Denare – demnach ist die Schuld, die der König dem Diener erlassen hatte, 60 000 mal größer als jene Schuld, welche dieser Diener seinem Mitknecht nicht erlassen will.
Was ist unser Problem? Gerne stellen wir uns vor, liebe Mitchristen, dass Gott wie ein König ist, der mir meine Schulden erlässt, weil er Mitleid hat mit mir. Sobald ich aber einem anderen seine Schuld vergeben soll, passiert mir ein Rechenfehler: ich bilde mir ein, dass die Schuld, die mir ein anderer schuldet, sehr groß sei, während die Schuld, die Gott mir vergeben hat, vergleichsweise klein sein. Und da haben wir uns getäuscht. So wie uns Jesus in der Bergpredigt klar macht, dass es sinnlos ist, den kleinen Splitter aus dem Auge des anderen herausziehen zu wollen, so lange ich den großen Balken im eigenen Auge nicht erkenne und entferne, so will er uns mit diesem Gleichnis unmissverständlich deutlich machen, dass wir der Forderung nach immer neuem Vergeben deshalb entsprechen sollen, weil Gott zuerst einmal mir selber unendlich viel mehr vergeben hat!
Bin ich jetzt noch bei gelb über die Ampel gefahren oder war es vielleicht doch schon rot? Diese Frage kennt wohl jeder Autofahrer. Jesus fragt uns gleichsam an, ob wir nicht unsere Vergebungsbedürftigkeit abwerten: Wir sind höchstens bei gelb über die Ampel gefahren, denken wir. Tatsächlich? Jesus ist nicht am Kreuz gestorben für mich, weil es eben nur gelb war, sondern ich muss erkennen und mir eingestehen: Es war rot! Und bei rot geht es um Leben und Tod! Das einzige, was mich jetzt wieder ins Leben rufen kann, ist Gottes unverdientes Erbarmen!
Ob die Ampel bei einem anderen dann vielleicht aus meiner bescheidenen Sicht noch röter war als bei mir, spielt dann auch keine Rolle mehr. Dies zu erkennen ist die Voraussetzung dafür, den Anspruch Jesu wahr- und ernstnehmen zu können: Wir sollen tatsächlich einander immer und immer wieder vergeben.
Vergeben heißt nicht, einfach einen Schalter umlegen. Das weiß Jesus auch. Vergebung ist ein Prozess, und der kann auch mal ein Leben lang dauern. Es geht nicht um unser Leisten, es geht um unser Wollen und um unser Herz. Bleiben wir dran! Es ist lohnenswert, den manchmal steilen Weg der Versöhnung zu gehen und die von Gott bereits erhaltene Vergebung weiterzuschenken. So gehen wir den Weg ins Leben.
Amen.
Gott in der Gemeinschaft
Predigt am 09.09.2023 (A/23) in Maria Rain
Die Worte Jesu, die wir gerade gehört haben (Mt 18, 15-20), werfen mancherlei Fragen auf bzw. stellen uns vor einige Schwierigkeiten:
Zunächst geht es ja um den Umgang mit dem Sünder. Mit der Sünde tun sich ja viele Christen heute schwer. Es ist fast ein Tabuthema geworden. Wir reden kaum noch über die Sünde und ihre Auswirkungen auf unser Leben. Ständig von der Sünde zu reden, wäre das andere Extrem. Aber eigentlich ist die Sünde eine Wirklichkeit, die unser aller Leben kennzeichnet. Und sie prägt doch unseren Glauben: Wozu ist Jesus Christus am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden? Uns zu erlösen? Wovon? Die Frage ist also auch heute noch berechtigt: Was ist Sünde?
Dann erwecken die Worte Jesu den Eindruck, als wolle Jesus den Sünder bloßstellen. Die Sünde in der Beichte auszusprechen, kostet ja trotz Beichtgeheimnis schon genug Überwindung. Aber vor Zeugen und dann sogar vor der ganzen Gemeinde mit der Sünde konfrontiert zu werden, das erscheint uns unverständlich. Hier geht es nicht um irgendeine Sünde, sondern um die sogenannte „öffentliche Sünde“: Das ist ein sündhaftes Verhalten, das Außenwirkungen hat für andere. Da sieht Jesus offenbar die Mitverantwortung der Schwestern und Brüder, den Sünder auf seine Sünde aufmerksam zu machen. Warum? Damit er sich bessern kann.
Schließlich irritiert uns, dass Jesus sagt, wir sollen den hartnäckigen Sünder, der sich nicht bekehrt, behandeln wie einen Heiden oder einen Zöllner, ihn also ausschließen aus der Gemeinde. Dabei ist derselbe Jesus doch oft genug auf Heiden und auf Zöllner zugegangen und hat ihnen Heil angeboten… Der Ausschluss aus der Gemeinde ist zu verstehen als ein Mittel, dass die Gemeinde schützen will vor der Gefahr der Ansteckung durch die Sünde, wir können sagen: ein allerletztes Mittel. Viele Heilige haben uns etwas Anderes vorgelebt: Sie haben sich von hartnäckigen Sündern nicht distanziert. Der Umgang mit hartnäckigen Sündern muss meine Heiligkeit nicht schmälern. Im Gegenteil: Wenn ich offen bin für jeden Menschen, obwohl er zutiefst bedürftig ist nach der Barmherzigkeit Gottes – und sind wir das nicht letztlich alle? –, wenn ich also für jeden Menschen offen bin und keinen ausgrenze, gerade dann erfülle ich doch das zentrale Liebesgebot und damit das Grundanliegen des Evangeliums...!
Ich habe jetzt drei Schwierigkeiten angesprochen, die dieser Schrifttext zunächst in sich trägt.
Der Abschnitt schließt dann mit dieser kraftvollen Zusage Jesu, dass er immer dann in unserer Mitte ist, wenn wir uns in seinem Namen versammeln! Aha, es geht also um unsere Gemeinschaft im Glauben! Im ersten Teil des Evangeliums hatte die Gemeinschaft eine Bedeutung für den Umgang mit dem Sünder! Jetzt hat die Gemeinschaft wieder eine Bedeutung: Und zwar für die so sehr ersehnte Erfahrung der Nähe und Gegenwart Jesu! Der schwierige erste und der schöne zweite Teil des Evangeliums haben also dies gemeinsam, wenn sie betonen: Es geht nicht ohne die Gemeinschaft! Jesus macht sein Wirken an uns Menschen – ob im Kampf gegen die Sünde oder in der Erfahrung seiner Gegenwart – abhängig von der konkreten Gemeinschaft, in der ich als Christin und als Christ bin und lebe. Die Gemeinde ist nicht irgendein Beiwerk des Christseins, das sich vernachlässigen ließe, die Gemeinde ist wesentlicher Ort, an dem Gott wirken kann unter uns Menschen.
Das gilt nicht nur für die Ortsgemeinde, das gilt ebenso für die große Gemeinschaft, die wir als Weltkirche sind.
Unterschätzen wir nicht die Bedeutung der Gemeinschaft und der Gemeinde für uns Christen! Jesus sieht in der konkreten Gemeinde den Ort, an dem die Sünde ihre mögliche Bedrohung verlieren kann, und er sieht die Gemeinde als den Ort, an dem unser Beten kraftvoll werden will und an dem wir seine Nähe und Gegenwart erfahren dürfen. Sind wir dankbar, dass Gott uns hineingestellt hat in diese Gemeinde und sind wir sensibel für das Wirken Gottes unter uns – inmitten seiner Gemeinde. Amen.
Verhütet Gott?
Predigt am 03.09.23 (A/22) in Wertach und Schwarzenberg
Wie geht es Ihnen mit der täglichen Flut an Nachrichten? Ich selber bin immer wieder hin- und hergerissen. Manchmal möchte ich am liebsten die Augen und Ohren verschließen, weil ich mich mit den vielen Problemen nicht auseinandersetzen will. Ein anderes Mal spüre ich die Gefahr, dass ich mich hineinsteigere in ein einzelnes Thema und es nicht mehr in Relation sehe zu den anderen Phänomenen unserer globalisierten Welt.
Viele Themen sind so komplex und so kompliziert geworden sind, dass es oft schwierig ist, dazu einen persönlichen Standpunkt einzunehmen. Doch nur noch Überschriften und Schlagzeilen zu lesen und sich nicht mehr wirklich angemessen zu informieren und auseinanderzusetzen mit den großen Fragen unserer Zeit, ist keine Lösung.
Bei all dem besteht die Gefahr, dass ich zu einem Schwarz-Seher werde. Petrus war so ein Schwarz-Seher, als er rief: „Das darf nicht geschehen! Das soll Gott verhüten!“ (Mt 16,22) Was war passiert? Jesus hatte erzählt, dass er leiden und sterben werde. Nun, ich kann es dem Petrus nicht verdenken, dass er mit dieser Nachricht nicht wirklich umgehen konnte. Er selber sah keinen Ausweg aus diesem Drama. Darum will er die Realität nicht wahrhaben. Aber Petrus ruft ja nicht nur „Das darf nicht geschehen!“, sondern er ruft in dieser für ihn aussichtslosen Lage auch seinen Gott an: „Das soll Gott verhüten!“ Weil Petrus sich ohnmächtig fühlt, delegiert er jetzt an Gott: Gott soll´s richten. Gott wird das schon irgendwie hinkriegen. Gott kann schließlich das Krumme wieder gerade machen. Also wird Gott in seiner Allmacht einen Weg finden, dass wir aus dem Dilemma doch noch mit einem blauen Auge davon kommen.
Bei Ereignissen wie der Pandemie oder wie dem Krieg oder wie dem Klimawandel, bei solchen globalen Ereignissen, die das Leben vieler Menschen unmittelbar bedrohen bzw. zerstören und auf die wir keine einfachen Lösungen haben, neigen wir da nicht alle dazu, dass wir mit Petrus rufen: „Das soll Gott verhüten!“?
Hilft das denn? Ist das nicht zu einfach? Mache ich Gott nicht zu einem Feuerwehrmann, der den Brand löschen muss, den wir nicht mehr löschen können oder wenn uns die Löscharbeiten zu anstrengend werden?
Oder ist Gott nicht vielmehr ein Gott, der uns in der Not begleiten will, der uns stärken und ermutigen will, dass wir in der Krise standhalten, dass wir der Realität ins Auge schauen, und dass wir selber Wege finden, wie wir das Leid mindern können? Will Gott uns nicht vielmehr befähigen, selber Verantwortung zu übernehmen – zumal dann, wenn es sich um Situationen handelt, die wir Menschen auch selber verursacht haben?
Ja, bei so mancher Tagesnachricht würde auch ich am liebsten ausrufen: „Das darf nicht geschehen! Das soll Gott verhüten!“ Wenn ich näher drüber nachdenke, dann spüre ich, dass ich mich vielmehr fragen muss, wie mein persönlicher Beitrag zu einer Problemlösung aussehen kann – und ist er noch so klein. Oft geht es auch „nur“ um meine Haltung einem Problem gegenüber, meine Haltung, die grund-legender ist als mein Verhalten…
Dass Jesus seiner düsteren Prognose über sein Leiden und Sterben noch angefügt hatte, dass er auferstehen werde, hatte Petrus vielleicht überhört. Oder es hatte seine Vorstellungskraft gesprengt. Jedenfalls wäre ich froh, wenn auf all unsere täglichen bad news auch so ein Nachsatz als good news käme wie jener von der Auferstehung. Das können die Berichterstatter nicht bieten. Das obliegt meiner Vorstellungskraft und meinem Bemühen um eine lebensfreundliche Gesamtsicht, ja das obliegt meinem Glauben: Viele Probleme werden uns zwingen, uns zu verändern und zu reifen. Im Nachhinein hat sich oft genug schon gezeigt, wozu Krisen gut waren. Die Menschheit ist lernfähig. Auch Petrus war lernfähig – spätestens nach Ostern…!
Was unseren Klimawandel betrifft, hoffe ich sehr, dass sich dies bewahrheitet, was ich gerade als positiven Lösungsansatz behauptet habe: Die Menschheit ist lernfähig. Ich habe schon Sorge, dass wir zu wenig oder zu spät lernen, nur weil es an unserer Lernbereitschaft fehlt angesichts der Notwendigkeit, unseren Lebensstil jetzt zu ändern, wenn wir diesen Planten als Wohnraum für weitere Generationen erhalten wollen…
Im Blick auf die täglichen Nachrichten wünsche ich uns jedenfalls – allem Anschein zum Trotz – einen lebensförderlichen Umgang mit ihnen und eine möglichst lebensbejahende Gesamt-Sicht auf unsere Lebenswirklichkeit! Übrigens: Nutzen wir doch die Freiheit, nicht ständig alle Nachrichten über uns hereinprasseln zu lassen. Wann und wie oft wir die Nachrichten hören und auf welche Weise wir sie aufnehmen, das liegt doch an uns. „Das darf nicht geschehen! Das soll Gott verhüten!“ ist jedenfalls keine ausreichende Reaktion. Petrus musste lernen, dass nach dem Drama des Karfreitags ein neues Leben begann. Aus unserer heutigen Perspektive ist das klar. Für Petrus war der Karfreitag damals eine existentielle Lebenskrise. Aber die war notwendig. Amen.
Was mich hält
Predigt am 26.06.2023 (A/21) in Petersthal
Wenn wir in Lebenssituationen geraten, in denen wir das Gefühl haben, dass wir den Halt verlieren, dann wird uns wieder bewusst, wie wichtig es ist für unser Leben, dass wir uns gehalten fühlen. Wir Menschen brauchen Halt! Der Säugling lässt sich halten und wird so hineingetragen ins Leben. Und am Ende unseres Lebens brauchen wir wieder jemand, der uns trägt – letztlich hin zum Grab. Da geht niemand selber. Halt spüren und gehalten sein – das macht unser Leben aus, auch wenn wir manchmal meinen, wir bräuchten niemanden. Doch: Halt geben können wir uns nicht selber. Und brauchen wir nicht. Jemand anders ist es, der mich hält und der mir Halt verleiht.
Jemandem Halt geben, z.B. für einen Freund da sein, wenn es ihm nicht gut geht, dieses jemandem Halt geben ist in unserer Deutschen Sprache verwandt damit, was wir von einem anderen halten. Für wen hältst Du mich? Bei dieser Frage geht es nicht unbedingt darum, ob Du bereit bist, mir Halt zu geben, sondern es geht um die Wahrnehmung, um die Sichtweise, um das Bild, das ich von einer oder einem anderen habe. Menschen, die wir achten und schätzen, von denen halten wir viel. Andere, die wir weniger achten oder schätzen, von denen halten wir nicht so viel…
Die Frage: Was halten denn die Leute von mir?, ist eine Frage, die wir alle kennen. Welche Rolle diese Frage in meinem Leben spielt, hängt davon ab, in wie weit ich mich abhängig fühle davon, was andere über mich denken, welche Meinung sie von mir haben. Was halten denn die Leute von mir?, wird sich jede Politikerin und jeder Politiker fragen nicht nur im Wahlkampf. Das Politbarometer ermittelt, was die Leute halten von den einzelnen PolitikerInnen. Nun bin ich in der glücklichen Lage, dass mich niemand wählen muss. Eure Priester, die mit Euch Gottesdienst feiern dürfen, könnt Ihr nicht wählen. Für mich ist das natürlich gut. Dass wir Priester plötzlich eine Art Wahlkampf führen müssten und ich darauf angewiesen wäre, dass Ihr möglichst viel von mir haltet, finde ich keine schöne Vorstellung...
Es mag einen zunächst verwundern, dass es Jesus Christus wichtig zu sein scheint, was die Leute von ihm halten. Zumindest lautet so die Frage, die er im heutigen Evangelium (Mt 16,13-20) formuliert. Er richtet die Frage aber nicht an die Leute selber, sondern er fragt seine Jünger, seine Schüler danach, was sie gehört haben darüber, was die Leute von ihm halten. Nun, Jesus war kein Politiker und er war auf die Zustimmung der Menschen nicht angewiesen. Er war zweifellos selbstbewusst genug, um über diese Frage, was die Leute von ihm halten, erhaben zu sein. Trotzdem formuliert er diese Frage: „Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“
Das war aber nur eine Art Einstiegsfrage, denn letztlich ging es Jesus dann um diese Frage: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Mit seinen Jüngern war Jesus Tag für Tag unterwegs von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, um die Frohe Botschaft vom Reich Gottes den Menschen zu verkünden und das Heilswirken Gottes zu dokumentieren. Jesus wollte offensichtlich, dass seine Jünger sich ein klares Bild machen und dass sie sich entscheiden – nach all dem, was sie mit ihrem Jesus erlebt hatten: Ist dieser Jesus nur ein toller Lehrer, ein sympathischer Mensch, ein geschickter Heiler, ein erfolgreicher Prediger, oder ist dieser Jesus mehr? „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Eine brisante Frage. Jesus hätte an der Antwort seiner Jünger scheitern können…
Sicherlich haben die verschiedenen Jünger unterschiedliche Antworten gegeben. Es gibt ja niemanden, über den alle dasselbe denken. Ob Papst Franziskus, ob Putin oder Angela Merkel: Jede und jeder hat seine Befürworter und Fans oder eben auch seine Kritiker und Gegner. Was wir Menschen von anderen halten, ist sehr unterschiedlich.
Wir dürfen dem Apostel Petrus danken, dass er als Sprecher der Apostelgruppe eine Antwort formuliert hat, die nicht nur für die Theologen kostbar ist. Petrus sagt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Das ist das Ur-Credo der Christenheit, das Fundament der Kirche: Wir dürfen diesen Jesus von Nazareth glauben als den ersehnten Christus, den Gesalbten Gottes, der mit Gott dem Vater und dem Heiligen Geist wesensgleich ist. Auf diesem Fundament basieren Christen-tum und Kirche. Darum nennt Jesus diesen Petrus dann auch den Fels, weil das, wofür er Jesus hält, die Kirche zusammenhält, ihr Halt gibt. Wenn wir und weil wir an diesen Jesus als den Christus glauben, sind wir fähig zu singen: Freu Dich, erlöste Christenheit…!
Menschen leiden nicht selten darunter, was andere über sie denken. Nicht selten denken wir geringschätzig von anderen. Wir trauen ihnen nichts zu. Wir verdächtigen sie. Wir verurteilen sie vielleicht sogar, obwohl uns kein Urteil zusteht. Wir sprechen heute von Mobbing, wenn Menschen seelisch krank werden, weil andere nicht viel von ihnen halten und weil sie dies den anderen auch spüren lassen…
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Jede und jeder von uns lebt mit dieser Frage jeden Tag. Menschen, die viel von uns halten, geben uns Halt. Darauf sind wir angewiesen. Niemand kann sich selber halten. Ich bin gehalten und ich darf als Gehaltener leben, weil andere in mir sehen, was Gott sieht: Das viele Große und Gute, dass in jede und jeden hineingelegt ist. Wenn wir von anderen nicht viel halten, dann ist unser Auge trüb: Wir sehen nicht, was Gott sieht. In den Augen Gottes ist jede und jeder gut und wertvoll! Gott hält viel von mir. Und von Dir. Keine Frage…
Geben wir einander Halt, indem wir die oder den anderen spüren lassen, was wir vom ihr oder ihm halten. Den letzten Halt unseres Leben aber dürfen wir uns schenken lassen von Gott: Er ist es, der in Jesus Christus zu jeder und jedem von uns hält – im Leben und über dieses Leben hinaus. Amen.
Hilfe in der Not
Predigt am 20.08.23 (A/20) in Schwarzenberg
Wie oft bin ich schon vorbeigegangen an einer Frau oder einem Mann, die oder der bettelnd an der Straße saß. Ihr oder sein Gesichtsausdruck war wie ein stummer Schrei: „Hilf mir!“ Ich habe mich von diesem Schrei nicht berühren lassen, habe mich taub gestellt, und so die oder den Bittenden ignoriert und abgewiesen.
So ähnlich scheint es Jesus auch zu versuchen im heutigen Evangelium (Mt 15,21-28). Er will diese heidnische Frau am liebsten abweisen. Auf ihr Flehen „Herr, hilf mir!“ gibt er keine zunächst Antwort…
Dabei ist diese Frau doch in größter Sorge um das Leben ihrer Tochter. Das wusste Jesus ganz genau. So wirft das Evangelium zunächst einige Fragen auf:
- Warum ignoriert Jesus zunächst die Bitte dieser heidnischen Frau, während er an anderer Stelle – beispielsweise bei der Samariterin am Jakobsbrunnen – auch einer Heidin gegenüber sofort zugewandt ist?
- Welche Rolle haben in diesem Evangelium die Jünger, die Jesus drängen, der Frau doch zu helfen – offensichtlich aber nur deshalb, weil sie genervt waren vom Geschrei dieser Frau…?
- Was hat es zu bedeuten, dass Jesus an dieser Stelle so stark betont, dass seine Sendung beschränkt sei auf die verlorenen Schafe des Hauses Israel? Steht das nicht im Widerspruch zum universalen Sendungsauftrag des Auferstandenen: „Geht zu allen Menschen und macht alle zu meinen Jüngern…“?
- Warum vergleicht Jesus seine Volksgenossen mit bedürftigen Kindern, während er die Andersgläubigen mit kleinen Hunden vergleicht? Ist das nicht eine verletzende Demütigung?
- Warum reagiert die Frau an dieser Stelle nicht beleidigt und wendet sich ab? Warum akzeptiert sie es anscheinend, mit kleinen Hunden verglichen zu werden?
- Wieso kann Jesus aufgrund dieser ausdauernden und hartnäckigen Bitte der Frau – trotz ihrer Zurückweisung – auf ihren Glauben schließen, den er als groß bezeichnet?
- Und was macht diesen Glauben aus? Ist es der Glaube an den Gott Israels, der jüdische Glaube, in dem Jesus ausgewachsen ist und gelebt hat, oder ist dieser Glaube schlicht ein tiefes Vertrauen?
All diese Fragen wären Stoff für mehrere Predigten, wären es wert, darüber nachzudenken und so tiefer in dieses Evangelium einzudringen…
Ich möchte Sie aber schlicht aufmerksam machen auf diese eine Bitte, welche die kanaanäische Frau formuliert: „Herr, hilf mir!“ Ist das nicht ein Gebet, das auch für uns immer wieder ein Kerngebet, ein Stoßgebet sein könnte in so vielen Situationen unseres Lebens: „Herr, hilf mir!“?
Die Frau kommt zu Jesus mit einer Bitte. Ich denke, dass diese Gebetshaltung doch jene ist, welche wir am häufigsten praktizieren: Wenn wir beten, dann bitten wir oft. Das dürfen wir. Gleichzeitig möchte ich uns fragen: Ist das nicht eine Einseitigkeit in unserem Gebetsleben oder sogar eine Schräglage in unserer Gebetshaltung? Ist uns bewusst, dass es sinnvoll und gut ist, Jesus immer zuerst zu danken und ihn immer zuerst zu loben, bevor wir ihn bitten? Egal ob es uns gerade gut oder weniger gut geht? Welchen Stellenwert hat das Danken und Loben in meinem Gebet?
Aber das hindert mich nicht, uns das Gebet der kanaanäischen Frau heute ganz besonders ans Herz zu legen: „Herr, hilf mir!“ Sie hat es gesprochen in einer Lage, aus der sie selber keinen Ausweg wusste. Die Sorge um ihre leidende Tochter hat sie getrieben, im Bewusstsein ihrer eigenen Ohnmacht Jesus, den sie als Sohn Davids anspricht, so zu bitten. Tun wir uns nicht manchmal schwer, unsere eigene Ohnmacht einzugestehen und demütig zu rufen: „Herr, hilf mir!“?
Und noch eines finde ich bemerkenswert an der Haltung dieser Frau: Sie hat ja keineswegs sofort Erfolg mit ihrer Bitte „Herr, hilf mir!“ Jesus reagiert auf diese ihre Bitte zunächst abweisend. Sie erfährt Zurückweisung. All das hindert die Frau nicht, vor diesem Jesus dann sogar nieder zu fallen und hartnäckig weiter zu flehen: „Herr, hilf mir!“
Ich wünsche mir für mein Beten etwas von dieser Demut der Frau, die ihre Ohnmacht erkennt und sich entschieden Jesus zuwendet. Und ich wünsche mir etwas von der Ausdauer dieser Frau, die nicht beim ersten Misserfolg resigniert, sondern Jesus beharrlich bittet: „Herr, hilf mir!“ Ob Jesus dann auch zu mir sagen kann: „Dein Glaube ist groß!“? Was doch nichts anderes meint als: Dein Vertrauen, dass Gott Dir die Hilfe geben wird, die er für Dich bereit hält, dieses Vertrauen ist groß!
Abschließend: Was ist es, wofür ich Jesus heute bitten könnte: „Herr, hilf mir!“?
Amen.
Vertrauen im Sturm
Predigt am 13.08.2023 (A/19) in Maria Rain
Das heutige Evangelium (Mt 14,22-33) stellt mich zunächst wieder vor die schwierige Frage, was ich in der Predigt mit Euch näher betrachten möchte: einen Jesus, der die Einsamkeit des Berges aufsucht, um zu beten;
oder die Jünger, die im Boot auf stürmischer See Angst bekommen; oder einen Jesus, der auf dem Wasser gehend den Geängstigten zuruft: „Habt Vertrauen!“; oder einen Petrus, der sich von Jesu „Komm!“ auf das Wasser locken lässt; oder einen Jesus, der den Sinkenden sofort aus dem Wasser zieht; oder die Jünger, die schließlich vor Jesus niederfallen und ihn als den Sohn Gottes bekennen…? Es ist also leicht ein halbes Dutzend Predigten wert, dieses Evangelium. Mich spricht heute ganz besonders an der Blick auf jene Jünger, die im Boot sitzen und dabei von den Wellen hin und her geworfen werden…
1. Gemeinsam im Boot – Weggemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft
Ganz gerne mache ich mal eine kleine Schifffahrt auf dem Bodensee oder vor Kurzem mit dem Tretboot auf dem Hopfensee. Ansonsten habe ich mit dem Boot fahren nicht viel Erfahrung. Das Boot, in dem die Jünger Jesu unterwegs waren, wird ein kleines Boot gewesen sein. Da kann man sich nicht groß bewegen. Wer in ein kleines Boot einsteigt, der ist auf Gedeih und Verderb angewiesen auf die anderen. Wer ins Boot einsteigt, der lässt sich ein auf eine Weggemeinschaft und auf eine Schicksalsgemeinschaft. Alle fahren gemeinsam ab und alle wollen gemeinsam am Ziel ankommen. Unterwegs kann niemand aussteigen oder sagen, dass er in eine andere Richtung fahren möchte. Unterwegs haben alle die gleichen Bedingungen: entweder brennt die Sonne oder es ist kalt. Damit geht es dann jedem gleich auf dieser Bootsfahrt, in dieser Weg- und Schicksalsgemeinschaft. Dass derzeit jeder fünfte Deutsche sich zur AfD bekennt, die am liebsten aus der Schicksalsgemeinschaft unserer Europäischen Union aussteigen würde, sollte uns alle besorgen… Die Jünger Jesu hatten reiche Erfahrung mit den Booten. Sie machen keinen Ausflug, wie ich ihn mal im Urlaub mache, sondern sie fahren täglich mit dem Boot. Eine vertraute Situation. Sie wollen gemeinsam ans gleiche Ziel. Dafür ist das Boot ein willkommenes Mittel der Fortbewegung. Oder es ist unverzichtbar, um ihren Beruf als Fischer ausüben zu können. Wenn man im Boot so beieinander ist, dann kann man erzählen, bei der Bootsfahrt kann die Brüderlichkeit wachsen. Ja, das Boot ermöglicht eine Weggemeinschaft, die zugleich auch Schicksalsgemeinschaft bedeutet…
2. Der Gegenwind erinnert an die Unverfügbarkeit des Zieles…
Das wird vor allem dann deutlich, wenn die Bootsfahrt nicht von allen genossen werden kann, sondern wenn ein Sturm alle in Angst und Schrecken versetzt. Der Evangelist berichtet, dass das Boot der Jünger von den Wellen hin und her geworfen wurde, denn sie hatten Gegenwind. Das ist ungemütlich. Das kann Todesängste auslösen. Schwimmwesten werden die Jünger wohl keine dabei gehabt haben. Wer von uns denkt nicht an die vielen Kinder, Frauen und Männer, die in den letzten Jahren bei dem Versuch, über das Mittelmeer zu fliehen, ihr Leben verloren haben. Tausende sind ertrunken. Für diese Menschen auf der Flucht war die Bootsfahrt zunächst eine Weggemeinschaft. Alle hatten dasselbe Ziel vor Augen: Ein besseres Leben. Doch dann wird diese Fahrt über das Meer zu einer Schicksalsgemeinschaft, die mit dem Tod endet. Gott allein weiß, welche Ängste diese Flüchtlinge durchlebt und wie sie gelitten haben, bevor das Boot kenterte und das Meer sie verschlang.
Aber wieder zurück zu den Jüngern Jesu: Eine Bootsfahrt kann etwas Schönes sein, das wussten sie. Sie wussten aber auch um die Gefahr, ja um die Lebensgefahr, wenn ein Sturm das Boot hin und her wirft und das Boot alle ins Haltlose zu werfen droht… Das Ziel ist unverfügbar für die Bootfahrenden.
3. Jesu Gegenwart schenkt der Weg- und Schicksalsgemeinschaft Vertrauen
Dass diese Gefahr realistisch ist, zeigen uns nicht nur die ertrunkenen Flüchtlinge. Und diese Gefahr bleibt auch realistisch für jede und jeden, die oder der in ein Boot einsteigt. Diese Gefahr kann Jesus nicht auslöschen. Aber Jesus will angesichts dieser Gefahr die Bootfahrenden einladen, ihm Vertrauen zu schenken. „Habt Vertrauen!“ ruft er den geängstigten Jüngern zu. Wenn wir jetzt mal von der Sonderlektion, die Petrus herausfordert, absehen: Die Gegenwart Jesu lädt ein zum Vertrauen. Beim Evangelisten Markus lesen wir, dass Jesus in dem in Seenot geratenen Boot auf einem Kissen liegt und schläft (Mk 4,38). Dieser schlafende Jesus, der weder wachsam ist noch tätig, dieser schlafende Jesus garantiert, dass das Boot nicht sinken kann. Dieser schlafende Jesu erlaubt, gelassen zu bleiben. Die Gegenwart Jesu gibt Grund, sich auch im Seesturm dem Schicksal anzuvertrauen. Vielleicht hatten auch manche Flüchtlinge dieses Vertrauen. Vertrauen ist keine Garantie zum Leben, Vertrauen ist eine Hilfe zum Leben.
Mit dem Liedtext von Martin Schneider, den wir in den 70er Jahren begeistert gesungen haben, möchte ich unsere Betrachtung von der Weg- und Schicksalsgemeinschaft der bootsfahrenden Jünger abschließen:
Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit.
Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit.
Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr,
Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr.
Und immer wieder fragt man sich: Wird denn das Schiff bestehn?
Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn?
Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir
allein auf der Fahrt durch das Meer. O bleibe bei uns, Herr!
Im Schiff, das sich Gemeinde nennt, muss eine Mannschaft sein,
sonst ist man auf der weiten Fahrt verloren und allein.
Ein jeder stehe, wo er steht, und tue seine Pflicht;
wenn er sein Teil nicht treu erfüllt, gelingt das Ganze nicht.
Und was die Mannschaft auf dem Schiff ganz fest zusammen schweißt
in Glaube, Hoffnung, Zuversicht, ist Gottes guter Geist.
Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir
allein auf der Fahrt durch das Meer. O bleibe bei uns, Herr!